Haushaltsrede von Ebbe Kögel,
Parteifreies Bündnis PFB, am Donnerstag, 26. März 2015 im Gemeinderat
Kernen
Vorbemerkung:
Diese Rede wurde im Original in Schwäbisch
gehalten. Dies
hier ist eine hochdeutsche Übersetzung. Es gilt aber das gesprochene
Wort!
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!
im Grunde genommen geht es bei allem, was wir hier
im GR
diskutieren und beschließen, um die Frage, wie wir in Zukunft leben
wollen. Und
zwar nicht nur auf örtlicher Ebene, sondern auch in einem europäischen
bzw.
weltweiten Maßstab.
Natürlich sind die Entscheidungsmöglichkeiten der
Gemeinde
durch Landes-, Bundes- und EU-Gesetze wesentlich eingeschränkt.
Trotzdem bleibt
uns ein gewisser Gestaltungsspielraum.
Nehmen wir die Zukunft unserer fruchtbaren
Ackerböden. Nicht nur auf dem Schmidener Feld zwischen
Rom und Fellbach, nein, auch die anderen Ackerböden um Stetten und Rom
herum
sind höchst fruchtbar. (Dasselbe gilt übrigens auch für die Böden in
Fellbach,
Waiblingen oder Remshalden - wir sind nicht die einzigen, die sich
versündigen).
Wir leben hier bei uns im Paradies, emm
Herrgottswenkl, wie der Heimatdichter August Lämmle, um 1900
Schulmeister in Stetten, mal unser Dorf beschrieben hat, bezugnehmend
auf die
Fruchtbarkeit unserer Böden und die hier herrschenden klimatischen
Bedingungen:
Gradronder vom Hemml ond a bissle
nebendsuadomma". Die Tatsache, dass wir hier im Paradies leben, im
Gegensatz zu 90% vom Rest der Welt, ist auch eine Verpflichtung.
Nämlich die
Verpflichtung, dieses Paradies nicht zu zerstören. Das ist eine
absolute
Verpflichtung. Die darf auch nicht für kurzfristige Mammon-Ziele (z.B.
die
Erzielung von höheren Gewerbesteuereinnahmen) geopfert werden.
Flächen, die einmal überbaut sind, sind für die
Produktion
von Nahrungsmitteln verloren. Das gilt auch für den Bau von Straßen und
Parkplätzen für den Individualverkehr. Der Autowahn hat katastrophale
Folgen.
Zu nennen wären hier die Toten und Schwerverletzten im Straßenverkehr,
die
Umweltschäden durch die Produktion und das Fahren von Autos und
Lastwagen. Die
Wachstumsmöglichkeiten hier sind endlich, das weiß jeder und jede, die
in die
Zukunft hochrechnen können.
Was ist die Alternative? Hier hilft nur der
konsequente
Ausbau des ÖPNV. Und zwar so, dass z.B. alle 10 Minuten ein Bus nach
WN,
Fellbach, Endersbach oder Esslingen fährt, so dass wir gar keinen
Fahrplan mehr
brauchen. Wir stehen einfach an die Haltestelle und warten auf den
nächsten
Bus, so wie es immer mehr Menschen in den Großstädten machen. Wir
können das
Auto stehen lassen oder können es ganz abschaffen. Für die Zukunft
brauchen wir
einen S-Bahn-Ringverkehr um Stuttgart herum, der das Nadelöhr
Hauptbahnhof und
das an der Kapazitätsgrenze fahrende S-Bahn-System der Region
entlastet. Für
die Milliarden, die für einen kropfunnötigen und verkehrstechnisch
sinnlosen
Kellerbahnhof verschleudert werden (darunter 600.000 Euro von der
Gemeinde
Kernen), könnten zwei S-Bahn Ringe um
Stuttgart herum gebaut werden. Der innere Ring würde von WN über
Stetten
nach ES führen.
Der ab 2016 fahrende Expressbus ist ein 1. Schritt
in die
richtige Richtung. An der Haltestelle "Diakonie Stetten" sollte dabei
eine Mobilitätsstation entstehen, wo mehrere
Buslinien aufeinandertreffen (darunter auch eine erweiterte Linie 116
nach
Endersbach) wo Pedelec-Stationen eingerichtet werden, Parkplätze für
Car-Sharing usw.. Wenn der Pferdehof der Diakonie auf die Hangweide
verlegt
würde, entstünde dort genügend Platz für diese Mobilitätsstation. Und
vielleicht bliebe sogar dort noch Platz für ein Pflegeheim, wenn es an
der
Frauenländerstraße nichts wird. Es ist doch ein Skandal, dass wir in
Stetten
immer noch kein Dorfpflegehaus wie
alle umliegenden Gemeinden haben. Obwohl das Alexanderstift, das
Pflegeheim
baut und betreibt, Teil des Unternehmensverbundes Diakonie Stetten ist.
Und damit kämen wir zum nächsten Punkt. Was
zeichnet ein
funktionierendes und lebendiges Gemeinwesen aus? Es ist der soziale
Zusammenhalt im Dorf, das sich
gegenseitig helfen, aufeinander Rücksicht nehmen, sich um die Kinder,
Jugendlichen, Alte und Behinderte kümmern. Den Gedanken von
Gemeinschaft gegen
Egoismen und Ellenbogenmentalität zu setzen. Dafür müssen wir was tun.
Die
Grundlagen dafür werden in der Familie, in Kindergarten und Schule
gelegt. Bei
den Kindergärten sind wir inzwischen recht gut aufgestellt. Bei den
Schulen
sieht es unserer Meinung nach anders aus. Die Werkrealschule wurde
abgewickelt,
leider auch aufgrund der Untätigkeit der Gemeindeverwaltung und der
damaligen Schulleitung.
Gegen eine mögliche Gemeinschaftsschule
bzw. eine Ganztagsgrundschule wird von
der CDU Gemeinderatsfraktion ein unverständlicher ideologischer
Grabenkrieg
geführt, der nicht im Interesse der betroffenen Kinder sein kann. Wenn
wir so
weitermachen, ist nicht nur der Bestand der Karl-Mauch-Schule, sondern
auch die
Realschule in Rom gefährdet, weil Eltern sich massenhaft für Schulen
außerhalb
Kernens oder gar für Privatschulen entscheiden. Der leider verstorbene
schwäbisch-finnische Pädagoge Rainer Domisch hat ein sehr interessantes
Buch
über das vorbildliche finnische Schulsystem geschrieben: Niemand wird zurückgelassen -
Eine Schule für alle", das uns als Vorbild dienen könnte. Es ist
unsere
Aufgabe als Gemeinde, dass wir uns auch um die Kinder kümmern, die
nachher
nicht mit einem Einser-Abitur ins Leben entlassen werden. Die
Wertigkeiten
stimmen nicht mehr, wenn z.B. handwerkliche oder soziale Fähigkeiten
nicht mehr
ausgebildet werden, weil sie bei der Verwertbarkeit der Menschen im
kapitalistischen Produktionsprozess nicht gefragt sind.
Wenn wir niemand zurücklassen wollen, dann müssen
wir uns
auch um die immer größer werdende Zahl von Menschen
mit Behinderungen und körperlichen Einschränkungen kümmern und
ihnen durch
bauliche und soziale Maßnahmen eine Teilhabe an der Gemeinschaft
ermöglichen.
Hier stehen wir erst ganz am Anfang der Entwicklung zu einer behindertengerechten Mustergemeinde -
für die wir als Gemeinde mit Sitz der Diakonie Stetten eigentlich
vorherbestimmt wären. Es gibt Zeichen der Hoffnung, z.B. was die
zukünftige
Planung von behindertengerechten Fußgängerüberwegen anbetrifft. Auf
anderen
Gebieten, wie z.B. der Barrierefreiheit der S-Bahn, sind wir noch
tiefstes
Entwicklungsland. Hier müssen wir in den nächsten Monaten und Jahren
den Druck
auf die Deutsche Bahn aufrechterhalten bzw. massiv verstärken.
Zu den Benachteiligten dieser Gesellschaft gehören
auch diejenigen, die so wenig verdienen, dass
sie davon nicht ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Diese Zahl
nimmt
zu, bedingt durch eine starke Zunahme von Teilzeitarbeitsplätzen,
400-Euro-Jobs
und Hartz-IV-AufstockerInnen. Dies trifft vor allem (alleinerziehende)
Frauen,
die später einmal schnurstracks in die Altersarmut wandern. Da wird
eine
riesige Welle an Sozialausgaben auf uns zukommen. Wir können das
(zumindest in
Ansätzen) verhindern, wenn wir keine Aufträge an Firmen vergeben, die
mit
solchen Niedriglohnmodellen ihr Geld verdienen. Zum Beispiel private
Paket- und
Briefzusteller wie die BW-Post, mit der die Wasserrechnungen der
Gemeinde
verschickt werden. Und wir bräuchten einen Armutsbericht
für unsere Gemeinde, um belastbare Zahlen für heute - und für die
Zukunft - zu
gewinnen.
Bleiben wir beim Wirtschaftlichen.
Auch hier gibt es eine äußerst bedenkliche Entwicklung - nämlich im
Bereich Daseinsvorsorge. Immer mehr Aufgaben
der Daseinsvorsorge werden in GmbHs (z.B.
Krankenhäuser, Remstalwerk) ausgegliedert. Diese werden zunehmend zu
Geheimgesellschaften, sind nicht mehr demokratisch kontrolliert. Und
dienen als
erster Schritt zur Privatisierung. Was dies für Konsequenzen hat, sehen
wir
gerade bei der Krankenhaus-GmbH und beim Remstalwerk. Es kann doch
nicht sein,
dass in so einem wichtigen Lebensbereich wie der Stromversorgung über
Monate
bzw. Jahre Geheimverhandlungen mit der EnBW geführt werden und die
betroffenen
BürgerInnen davon nichts erfahren.
Die Entscheidung fürs
Remstalwerk war ein Fehler. Es wäre besser gewesen, die Gemeinde
Kernen
hätte ihr Stromnetz von der EnBW gekauft und eigene
Stadtwerke gegründet. Unter Beteiligung einer
BürgerInnen-Energie-Genossenschaft. Dann wären wir jetzt schon viel
weiter und
könnten Kernen zur Energie-Selbstversorgungs-Gemeinde
machen.
Wenn die gerade (im Geheimen verhandelten!) Freihandelsabkommen kommen, dann wird
es einen Großangriff des internationalen Kapitals auf unsere
Einrichtungen der
Daseinsvorsorge geben. Da müssen wir uns ganz, ganz warm anziehen. Es
ist
schade, dass die Mehrheit des Gremiums es hier abgelehnt hat, über eine
entsprechende Resolution gegen TTIP und CETA zu diskutieren bzw.
abzustimmen.
Bleiben wir beim "Geheimen". Nach einem
Dreivierteljahr im
GR bin ich überrascht, wie viele Tagesordnungspunkte zuerst nichtöffentlich
verhandelt werden,
bevor sie auf die Tagesordnung der öffentlichen Gemeinderatssitzung
kommen. Und
dann im Grunde schon entschieden sind. Eine ungute Entwicklung, die dem
Wesen
der Demokratie widerspricht.
Erfreulicherweise tut sich in unserer Gemeinde was
in Sachen
BürgerInnen-Beteiligung, was sich an
der großen Zahl von Infoveranstaltungen und Runden Tischen zeigt.
Allerdings
ist es hier notwendig, dass diese Beteiligung
stattfindet, bevor eine Entscheidung fällt und dass sie nicht nur
stattfindet,
um möglichen Widerstand abzuklopfen. Und dass Bürgerinitiativen
ausreichend
Zeit und Gelegenheit haben, ihre Argumente und Wünsche vorzutragen.
Beim
Schmidener Feld war dies leider nicht der Fall. Wovor müssten wir denn
Angst
haben? Oder gar beleidigt sein, weil unsere Bürgerinnen und Bürger
bestimmte
Sachverhalte anders sehen? Auch da greift letzten Endes das Wesen der
Demokratie: Wer die besseren Argumente oder die Mehrheiten hat, setzt
sich
durch.
Eine weitere Beobachtung meiner
Gemeinderatstätigkeit
bezieht sich auf den Begriff "alternativlos".
Wenn die Verwaltung eine Vorlage erstellt zur Abstimmung im
Gemeinderat, ist
die in der Regel "alternativlos". Beispiel "Parkplätze
Tulpenstraße". Da bekommen wir eine Vorlage, dass der
Ausbau der Parkplätze 600.000 Euro kostet. (Die Kosten für den
Grunderwerb
werden dabei leider gar nicht erwähnt). Eine Alternative dazu, wie z.B.
die
Parkplätze nur provisorisch einzuschottern und dann alles zu lassen,
wie es
ist, für vielleicht 50.000 Euro, wird nicht vorgestellt. Das wären
tatsächlich Abstimmungs-Alternativen.
Oft werde ich im Dorf angesprochen: Du, da ist das
oder
jenes Problem, mach DU mal was. Ich sage dann stets: macht es doch
selber.
Sucht euch Gleichgesinnte, schließt euch zusammen, werdet aktiv. Macht Politik in der 1. Person, wartet nicht
darauf, dass EURE Interessen von anderen vertreten werden.
Abschließen möchte ich mit einer grundsätzlichen
Frage, mit
der wir uns auch dann auf eine höhere, nicht materielle Ebene begeben: Wie wird ein Bürgermeister unsterblich?
Oder auch ein Gemeinderat, der ja die Ideen und Projekte unseres
Bürgermeisters
absegnen muss. Wird er unsterblich durch Bauwerke, z.B. kommunale
"Paläste",
die jede Menge Gemeinden um uns herum auch haben? Oder wird er
unsterblich
durch die Schaffung eines Gemeinwesens, in dem die Menschen sich
wohlfühlen,
das gekennzeichnet ist - wie anfangs ausgeführt - von gegenseitiger
Unterstützung,
von der Sorge für die Schwächeren, Benachteiligten, von der Sorge für
die
Zukunft der nachfolgenden Generationen. Sind wir eine Gemeinde, an die
die
Jungen, wenn sie uns für Ausbildung oder aus beruflichen Gründen
verlassen,
gerne zurückdenken oder sogar wieder zurückkehren, wenn sie selbst mal
Kinder
haben? Weil sie sagen: so wie ich aufgewachsen bin, möchte ich meine
eigenen
Kinder auch aufwachsen sehen.
Eine andere Welt ist möglich!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.